2014

INTERPRETATIONSSPIELRAUM

 

Interessant ist, wie viel Interpretationsspielraum Informationen bieten können. Speziell bei E-mail oder SMS Nachrichten erlebe ich häufig die Möglichkeit und die Gefahr zur vorschnellen Missinterpretation. Besonders bei Situationen der Anspannung neige, nicht nur ich, dazu empfangene Mitteilungen überzubetonen. Die Information wird unbewusst so betont, so gelesen, dass sie dem eigenen Stimmungsbild entspricht.

Ein anerkennendes 'Du hast immer Recht!' ist kein anderer Satz als der Vorwurf wegen der Rechthaberei des anderen, wo es dann heißt 'Du hast immer Recht!'

Bei mir selbst bemerke ich diese Gefahr selten. Anders geht es mir etwa mit meiner Frau. Wenn sie Mitteilungen laut liest, erlebe ich Möglichkeit der Missdeutung und der Färbung der Betonung deutlicher.

- Umgekehrt verhält es sich vermutlich ebenso!

Jedenfalls lässt das Medium genug Spielraum Dinge so zu verstehen wie man will.

Sehr viel Spielraum zur freien Entfaltung der Eigeninterpretation bieten interessanterweise auch Musik, Fotos und Filme. Wer kennt das nicht, dass man erst am Ende eines Films feststellt, dass der besondere Charakter gar nicht so besonders war? Dass ein scheinbar genialer Plan gar nicht genial war, sondern nur durch unmögliches Glück und Zufall funktionierte?

Wir wollen sehen, dass die Prinzessin bildschön ist, deshalb versuchen wir auch sie so zu sehen.

Ein Video an dieser Stelle. Man braucht es nicht unbedingt zu Ende zu sehen, aber bitte mal reinsehen, dann weiterlesen!! Denn anschließend kommen ein paar Fragen dazu:

Abgesehen davon, dass das Ganze natürlich Geschmackssache ist ... zu den Fragen: Habe ich eine Aussage verstanden, oder meine ich einfach zu wissen was gemeint ist? Waren da tatsächlich so viele begeisterte Menschen auf den Balkonen? Aufgefallen, dass die im Hintergrund absolut nicht tanzten? Waren da große Menschenmassen zu sehen oder grade nur so viele Menschen, dass sie den Eindruck einer Masse weckten? Bemerkt, dass die meisten Fenster geschlossen waren und hinter den TänzerInnen und MusikerInnen oft keine Leute standen?

Das ist alles vollkommen in Ordnung und legitim. Für Filmarbeiten professionell und normal. Aber um das geht's mir hier nicht. Mir geht es darum zu zeigen, dass wir bereit sind zu erkennen was wir sehen wollen.

Wenn wir eine Masse von Menschen sehen 'wollen', dann erkennen wir sie auch, wenn nach der dritten Reihe Leute keiner mehr steht. Das ist interessant und beachtlich.

Auf diese Art kommunizieren wir also zu einem großen Teil. Auch gerade jetzt.

 

Ich will aber noch weitergehen. Ein sehr guter Freund war für eine humanitäre Einrichtung ums Jahr 2000 herum nahe Belgrad tätig. Er hat mir erzählt, dass ihn dort eines Tages ein Kollege angerufen hat:

 

'Pack deine Sachen, wir fahren nach Belgrad!'

'Sicher nicht, siehst du nicht fern? Da ist Revolution!'

'Red nicht, ich hole dich in einer Stunde ab!'

 

Sie kommen nach Belgrad:

'Das Parlamentsgebäude, ein Park, campierende Gruppen, es wird gegrillt.

VOR dem Parlament Reporterteams, zwischen ihnen und dem Gebäude Demonstranten. Rauch. Sehr fotogen, aus dieser speziellen Perspektive.'

 

Ein Video zum 5. Oktober 2000

Im Vergleich mit dem Musikvideo von vorhin: Wie viele Menschen sieht man tatsächlich?

Tiefe Kameraführung, das Gebäude praktisch nur frontal attackiert, die DemonstrantInnen stehen nicht mal eng, dazwischen immer wieder künstlicher Rauch.

Die wichtigsten Einstellungen könnte man wohl mit wenigen dutzend StatistInnen drehen! Weshalb keine Bilder von oben, von einem Dach, Balkon, Helikopter?

Leute lachen, feixen mit Polizisten, tragen Stühle davon, ...

Revolution? Vielleicht, ich war ja nicht dabei, aber Bilder wie diese, (denk an das Musikvideo von vorhin!) beweisen eigentlich rein gar nichts!